Passierschein A38

Ich benötige eine Steuerbescheinigung, da wir das Visum unserer Jüngsten verlängern müssen. Die Steuern sind bezahlt, es ist alles in Ordnung, lediglich die offizielle Bestätigung gilt es zu holen. Eigentlich kein großartiges Unterfangen. Erwartungsgemäß liegt die Dauer eines solchen Amtsweges auf der Bezirksverwaltung bei ca. 15 Minuten, aber an diesem Tag läuft alles etwas anders als erwartet.

Zunächst wird mir gesagt, ich hätte überhaupt keine Berechtigung, in Japan besteuert zu werden, da wir erst am 2.1. in Japan angekommen sind. Wenn wir nicht am 1.1. des Jahres in Japan sind, dann geschieht keine Besteuerung in Japan. Ich atme tief durch. Auf die Information hin, dass ich im Vorjahr doch bis Juni in Japan gelebt und gearbeitet hätte, reagiert der Beamte erst einmal verwundert und möchte eine Bescheinigung, dass wir in Japan leben. Wenn es weiter nichts ist.. so eine wollte ich ja schließlich sowieso auch einholen.

Also gehe ich vom Bezirksfinanzamt (rechter Teil der Bezirksverwaltung) zum Einwohnermeldeamt (linker Teil der Bezirksverwaltung), um mir einen Meldezettel zu holen.

Während ich gerade dabei bin meinen Antrag abzugeben, steht plötzlich der Steuerbeamte neben mir und berichtet mir freudestrahlend, dass er es geschafft hätte, die Daten wiederherzustellen. Ich entschuldigte mich und sagte, dass ich erst noch den Meldezettel holen würde, bevor ich dann wieder zu ihm kommen würde. Er versichert mir, bis dahin alles vorzubereiten und schreitet von dannen. Seine Kollegin vom Einwohnermeldeamt wirkt etwas irritiert, dass wir während der Besprechung meines Antrages unterbrochen wurden.

Zehn Minuten später gehe ich bewaffnet mit einer neuen Kopie des Meldezettels zurück zum Steueramt. Der Steuerbeamte hat die Steuerbescheinigung bereits ausgedruckt – „Was für ein Service – typisch Japan“, denke ich. Während ich überprüfe, ob die Namen auf der Bescheinigung korrekt sind bemerke ich allerdings, dass der Name unserer jüngsten Tochter komplett fehlt. Wegen ihr brauche ich die Bescheinigung, ohne ihren Namen ist der Bescheid für die Verlängerung des Visums wertlos.

Ich sagte dem Beamten, dass meine jüngste Tochter fehle, was ich ihm dank des Meldezettels auch gleich beweisen konnte. Er entschuldigte sich noch einmal und sagte, er müsse da erst noch etwas in Erfahrung bringen.

Er ruft beim Steueramt von Nagoya an und nachdem er mit dem Beamten gesprochen und diesem versichert hat, dass der Ausländer, um den es geht, flüssig japanisch könne, gibt er mir den Hörer, damit ich mit dem Beamten direkt sprechen kann.

Am Telefon wird mir erklärt, dass es so aussehe, als wäre meine jüngste Tochter letztes Jahr nicht mit uns nach Deutschland gegangen. Sie wäre von den Steuerdaten her nicht weg gewesen. Ich versichere ihm, dass wir  als Familie geschlossen im Juni nach Deutschland gegangen waren und meine (damals einjährige) Tochter nicht alleine im Land geblieben ist. Er sagte, er benötigt eine Art Bestätigung, die belegt, dass wir im letzten Jahr als komplette Familie von dort weggezogen sind. Ich bedankte mich für die Information und gehe zurück zum Meldeamt…

Die nette Dame an der Auskunft kann mir nicht weiterhelfen, da es eben nicht mehr um einen Standard-Meldezettel geht. Sie glaubt, dass das Einwohnermeldeamt Bestätigungen über die Ausreise aus Japan eigentlich nicht ausstellen würde, dafür wäre doch die Einwanderungsbehörde zuständig… und verweist mich anstelle an den sonst üblichen 4. Schalters an Schalter Nummer 5.

Nach einem erfolglosen Anruf nach Hause (hatten wir so einen „Wisch“ nicht irgendwo?) trotte ich zu Schalter 5 und stelle mich hinten an. Ich werde von einem Beamten aufgerufen. Sein ob der Kälte des Winters dicker Pullover, wirkt, als hätte er bereits viele Jahre seine Dienste erwiesen.

Ich erkläre ihm, worum es geht, worauf er nach einer knappen Minute Nachforschung in seinem Computer sechs A4 Blätter ausdruckt, auf welche für jedes Mitglied unserer Familie das Ausreisedatum (bzw. das Datum, an welchem wir uns als Familie dort abgemeldet hatten) ausgewiesen ist. Ich bin glücklich. Er erklärt mir, dass diese Dokumente gemeinsam mit dem neuen Meldezettel beweisen würden, dass wir ein halbes Jahr lang nicht in Japan gemeldet waren. „Hallelujah – genau das brauche ich“, denke ich. Ich bin glücklich und dankbar. Er sagt, er würde mir diese Bestätigung ausstellen – und während ich meine Hand den Zetteln auf seiner Seite des Counters entgegenstrecke, drückt er mir einen Zettel mit einer Nummer darauf in die Hand. Schließlich darf er mir das offensichtlich nicht einfach so geben, sondern es muss an der Kasse ausgegeben werden, wo dann auch gleich die Amtsgebühren eingehoben werden. Ich bin immer noch dankbar, aber nicht mehr so glücklich. Ich versuche, meine Überraschung zu verbergen und setze mich artig in den Wartebereich.

Mit einer Mischung aus Ungeduld, Hoffnung und Unverständnis blickte ich immer wieder auf den LCD Schirm, der hoffentlich bald meine Nummer – 38 (!!) – zeigen würde.

Während ich dort sitze, steht plötzlich der Steuerbeamte wieder neben mir. Er hätte den Namen meiner jüngsten Tochter jetzt einfach einmal auf das Dokuent draufgeschrieben, sagt er. Ich könne mir das Dokument jederzeit holen. Er wirkt, als würde ihm die ganze Geschichte zunehmend unangenehm.

Ich kenne mich nicht mehr so ganz aus. Ich entschuldigte mich und sage ihm, dass ich erst noch den Zettel von dem Meldeamt holen würde und dann zu ihm käme. Er wirkt fast enttäuscht und geht zurück in seine Abteilung.

Nach einer weiteren viertel Stunde gehe ich bewaffnet mit der Abmeldebescheinigung, dem zuvor erstandenen Meldezettel und einer gewissen Menge an Frust zurück zum Steueramt.

Der Beamte ist dankbar, dass er nun die notwendigen Unterlagen hat und sagt mir mehrmals, dass es jetzt ein wenig dauern würde, bis die Daten eingepflegt und die Steuerbescheinigung dann fertig wäre… er telefoniert mit seinem Kollegen und ich kann durch den Raum nur ein Paar Wortfetzen aufschnappen: „Jaja, genau… ja die Anzahl an Buchstaben…“. Es ist so, dass die Namen von Japanern selten mehr als 5 Schriftzeichen umfassen. Selbst, wenn man die Namen in Katakana oder Hiragana umschreibt, sind es selten mehr als fünf Silben pro Familienname – noch seltener mehr als vier für einen Vornamen. Nun haben unsere Kinder alle zwei Vornamen und unser Familienname ist auch eher länger.

Nach kurzer Wartezeit frage ich, ob ich einen anderen Amtsweg auch noch erledigen kann, um die Wartezeit besser zu nutzen. Er versichert mir, dass es besser wäre, die Wartezeit mit anderen sinnvollen Aktivitäten zu verbringen. Also gehe ich noch einmal in den linken Teil des Bezirksverwaltungsgebäudes, diesmal in die Abteilung Krankenversicherung. Nachdem ich dort fertig bin, gehe ich wieder zurück zum Steueramt. Keine weitern zehn Minuten später, und ich halte endlich die Steuerbescheinigung inklusive des (offensichtlich handgeschriebenen) Namens unserer jüngeren Tochter darauf in meinen Händen.

Der Steuerbeamte entschuldigte sich vielmals, dass es so lange gedauert hat und ich so oft hin und her geschickt wurde. Ich möchte höflich sein und entschuldigte mich, dass das mit uns Ausländern so kompliziert ist, worauf er sagt: „So kompliziert ist das nicht, nur unser System ist unbrauchbar“. Offensichtlich konnten sie den Namen einfach nicht eingeben, weil ein Feld nicht mit ausreichend Textlänge definiert war. Der letzte Name passte einfach nicht mehr drauf. So konnte ich auch verstehen, wieso der arme Mann so peinlich berührt war.

4 Gedanken zu „Passierschein A38

  • 1. Februar 2020 um 15:57 Uhr
    Permalink

    Du meine Güte!
    Ein erheiternder Beitrag für ein Kabarett….

    Viel Zeit muß man sich dafür nehmen, einen Amtsweg in Japan zu beschreiten.

    Liebe Grüße

    Antwort
  • 1. Februar 2020 um 19:51 Uhr
    Permalink

    Lieber Christian,
    Danke für den Interessanten Bericht.
    Bei Reinhard und Ulrike Berns hatte ich biblischen Unterricht.
    Grüsse sie von mir, vielleicht erinnern sie sich noch.

    Herzliche Grüsse
    Gerhard

    Antwort
  • 7. Juli 2022 um 8:50 Uhr
    Permalink

    Passierschein A38
    Asterix und Obelix lassen grüßen.
    Haltet durch.
    Liebe Grüße aus Hilchenbach

    Antwort
    • 8. Juli 2022 um 9:14 Uhr
      Permalink

      Genau das dachte ich auch, als ich dort saß :)… was man den japanischen Ämtern allerdings bei all dem, was kompliziert wirkt, sehr zu Gute halten muss ist, dass – sofern man alle notwendigen Dokumente mitbringt – die Bearbeitung wirklich schnell geht.

      Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert