Der Kontrolleur

20160827_ZugVorgestern konnte ich im Zuge des vorerst vorletzten Aktes unserer Übersiedlung unsere Habseligkeiten aus Inazawa holen. Auf dem Weg dahin bin ich zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder mit einen Expresszug in Japan gefahren.

Das Ticket wurde im gewohnten Modus an den Automaten gelöst – allerdings mangels ausreichender Japanischkenntnisse noch im Englischen, wie der Automat dann auch für den halben Bahnhof hörbar rückgemeldet hat (á la: „ALL FARE INFORMATION WILL BE DISPLAYED IN ENGLISH“ – jetzt wissen auch alle, die es bisher noch nicht gesehen haben sollten, dass jemand anwesend ist, der KEIN japanisch kann… :)).

Wie immer war die Pünktlichkeit der japanischen Züge über jede Kritik erhaben. Nach etwa einer halben Stunde in die mehrstündige Reise aus der Präfektur Nagano in die Präfektur Aichi wurde auch tatsächlich ein Sitzplatz frei.

Irritiert war ich von der sehr eindeutigen Lektüre, die ein älterer Mann einen Sitz vor mir auspackte und sich schamlos im Zug zu Gemüte führte. Die ebenfalls irritierten Blicke besonders der vorbeigehenden Frauen verrieten mir, dass das wohl keine in japanischen Zügen angemessene Lektüre ist, gleichzeitig merkte man aber auch, dass einem alten Mann mit weißem Haar von Inländern einfach nichts kritisches gesagt wird. Ob mein halblaut ausgesprochenes „chotto…“ dazu beigetragen hat, dass er seine Zeitschrift nach kurzer Zeit wieder wegpackte, kann ich nicht beurteilen.

Auf der Fahrt widmete ich mich meinen Lektüren für das aufbauende Theologiestudium und dem Japanischunterricht. Nach etwa zwei Stunden Fahrtzeit wechselte der Kontrolleur, die Tickets wurden also wieder überprüft. Da bei der ersten Kontrolle alles gut lief, machte ich mir keine großen Geanken. Als der Schaffner mich aus „Emerging Church“ herausgerissen und ich ihm selbstbewusst mein „Fare Ticket“ gegeben hatte, merkte ich nach initialer Normalität der Situation, dass irgendetwas wohl nicht stimmen dürfte.

Der Schaffner sagte länger nichts und studierte das Ticket, dass ich ihm gerade gegeben hatte. Dann blickte er von dem Stück Plastik auf und sagte auf japanisch: „Eins fehlt noch“. Nun war seine Irritation auch zu der meinen Geworden. Ich versuchte nachzuvollziehen, was ich falsch gemacht haben könnte und zeigte ihm, dass ja nur die Reservierung eines Sitzes laut Auskunft im Internet noch extra gekostet hätte. Da ich auf einem unreservierten Sitz saß, fühlte ich mich (noch) recht sicher in meiner Aussage.

Das Gesicht des Schaffners verfärbte sich im Bereich seiner Wangen etwas rötlich. Sein freundliches Lächeln wirkte gequälter als zuvor.

Er sagt noch einmal, dass da noch etwas fehlt.

Ich zeigte ihm die Fahrplanauskunft, die ich mir ausgedruckt hatte (und fühlte mich schlau dabei). Er verwies auf die Sitzplatzreservierung – Ich verstand immer noch nicht.

Dem Schaffner trat der Schweiß ins Gesicht.

Er griff zu seinem Handcomputer, tippte etwas ein und sagte etwas wie: „Unresafudu Shiito“ während er auf einen auf dem Display angezeigten Betrag deutete.

Meine Sicherheit schwand dahin. Was ich in den letzten Jahren vergessen hatte: in Japan zahlt man bei Überlandexpresszügen sowohl die „Fare“ als auch eine „Sitzplatzreservierung“. Ein reservierter Sitzplatz muss teurer bezahlt werden, als ein unreservierter, letzterer ist aber trotzdem zu bezahlen.

Nun war es an mir, in Peinlichkeit den Blick zu senken und gebrochene japanische Entschuldigungsphrasen von mir zu geben – was ich natürlich, während ich reumütig mein Portemonnaie zückte, auch tat. Gott sei Dank musste ich nur die Sitzplatzreservierung nachzahlen, keine Strafe.

Anschließend verneigte sich der Schaffner noch einmal und verabschiedete sich freundlich, an seinem Tonfall konnte ich aber merken, dass das ihm vorliegende Exemplar sich in die Reihe der „bakana Gaijin“ (dumme Ausländer) eingegliedert hatte.

Die ganze Situation war mir ordentlich peinlich… lesson learned. Gleichzeitig fand ich es sehr krass, wie unangenehm die Situation für den Kontrolleur war. Man hatte den Eindruck, dass es ihm unbehaglicher war als mir, der ich doch in der misslichen Lage war, die Fahrt nicht korrekt gezahlt zu haben. Nun tut es mir Leid, was für einen Stress ich dem armen Schaffner gemacht habe.

Und so wurde diese Begebenheit auch gleichzeitig zu einer Einführung in die japanische Kultur, in der man sich ständig für alles entschuldigt. 😉

Japanische Kuriositäten

Ein paar Wochen sind nun schon wieder vergangen, seit wir in Japan angekommen sind. Wir gehen unsere ersten Schritte, leben uns ein und kombinieren dies mit Urlaub. Das erlaubt uns, währen der ersten Wochen wirklich stressfrei anzukommen.

Mit Beiträgen unter dem Titel „Japanische Kuriositäten“ wollen wir Euch erzählen, worüber wir als Europäer (Deutsch-Österreicher in unserem Fall) schmunzeln, die Stirn runzeln und was uns zum Lachen bringt (im positivsten Sinne natürlich ;)).

Heute: Japanische Abfalltrennung.

Nicht nur, dass es für jeden Abfalltyp Regeln gibt (siehe erstes Bild unten), sonder für Plastikmüll ist es auch erforderlich, diesen so sauber (und trocken) wie möglich zur Sammelstelle zu bringen. Nicht selten sieht es also nach dem Abspülen (was in Japan zumeist mangels Geschirrspüler von Hand geschieht) so aus wie auf Bild 2 und 3: Der Plastikmüll teilt sich seinen Abtropfbereich mit den restlichen Geschirrteilen.

vlcsnap-00007vlcsnap-00008Abwaschen

Da in Japan nach einem Giftgasanschlag auf eine U-Bahn Station öffentliche Abfalleimer komplett abgeschafft wurden, können Gaijins (Ausländer) wie wir auch keine Abkürzung nehmen – daher gibt es auch für Plastikflaschen nur eines: ausspülen…

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… Beschriftung abnehmen…

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… und austrocknen lassen – hierzu wurde hier in Nozomi no Mura eine „Spezialkonstruktion“ geschaffen:

FlaschenVom hiesigen Müllsammelplatz werden die Abfälle dann in unterschiedlichen größeren Säcken geordnet zur örtlichen Sammelstelle gebracht und entsorgt. Die Japaner lieben es wie immer schön geordnet :). Wir haben das Gefühl, dass die Mülltrennung in den letzten Jahren hier doch an Stellenwert gewonnen hat.

Psalm 67 – Segen mit Außenwirkung

Mich bewegt Psalm 67 seit etwa zwei Wochen immer wieder. Diese Passage ist mir kurz nach unserer Ankunft „entgegengesprungen“ (danke, Jesus :)!) und ich würde Euch gerne mit hineinnehmen, was mich daran bewegt. Es ist eine wunderschöne Reflexion über den Aaronitischen Segen, hier der Text:

Psalm 67

Dem Chorleiter. Mit Saitenspiel. Ein Psalm. Ein Lied.
Gott sei uns gnädig und segne uns, er lasse sein Angesicht leuchten über1 uns, //
dass man auf der Erde erkenne deinen Weg, unter allen Nationen deine Hilfe!
Es sollen dich preisen die Völker, Gott; es sollen dich preisen die Völker alle.
Es sollen sich freuen und jubeln die Völkerschaften; denn du wirst die Völker richten in Geradheit, und die Völkerschaften auf der Erde – du wirst sie leiten. //
Es sollen dich preisen die Völker, Gott; es sollen dich preisen die Völker alle.
Die Erde gibt ihren Ertrag; Gott, unser Gott, wird uns segnen.
Gott wird uns segnen, und alle Enden der Erde werden ihn fürchten.

Was mir ganz neu aufgefallen ist, ist die Außenwirkung, die der erbetene Segen haben soll. Über diese denkt der Psalmist nach. Mehr als der halbe Psalm (Verse 3-6 und 8b) dreht sich darum. Das Ziel ist, dass die Menschen rund um das Volk Gottes ebenfalls erkennen, dass Gott real ist. An dem Segen, den das Volk Israel erlebte, sollten alle Völker rund herum sehen, dass der Gott, der zu diesem Volk gehört, der wahre Gott ist.

Für uns heute ist das ebenfalls ein Vorbild. So oft bitten wir Gott, dass er uns segnet, uns gutes tut. Wir bitten, dass er unsere Probleme löst, dass er unsere Krankheiten heilt, dass er uns Ideen schenkt, dass er uns hilft, finanziell über die Runden zu kommen. Wir bitten um seine Hilfe in der Erziehung, in Beziehungen, in den Belangen des Alltags und den Unmöglichkeiten des Lebens.

Alle diese Bitten sind gut – sehr gut sogar. Gott will, dass wir mit dem zu ihm kommen, was unsere Herzen bewegt. Er will der Gott sein, der uns hilft, uns überrascht, uns beschenkt und die Dinge klärt, die wir selbst niemals schaffen würden. Gott ist einfach so. Er ist ein Gott, der gerne gibt. Er ist die Liebe in Person.

Gleichzeitig hat sein Handeln an uns auch ein weiteres Ziel, nämlich, dass die Menschen rund um uns herum auch sehen, dass an Jesus mehr dran ist als tote Religion.

Gott ist real. Er ist es in Deinem und meinem Leben. Er möchte sich durch Dich anderen zeigen. Er möchte durch sein Handeln an Dir anderen Menschen zeigen, wer er ist. Das Leben mit ihm ist so angelegt, dass es Außenwirkung hat. Jesus hat gesagt, dass aus dem Leben von Menschen, die an ihn glauben, lauter gute Dinge fließen werden. Gott hat uns nicht als Stausee geschaffen, sondern er möchte aus uns heraus eine Quelle entspringen lassen (Joh 4,14). Das Gute, das Gott uns gibt, ist nicht dazu da, um gehortet zu werden. Es ist dazu da, um weitergegeben zu werden und allen Menschen zu zeigen, dass Gott sie unbeschreiblich liebt.

Eine Reise beginnt immer mit dem ersten Schritt…

Denen von Euch, die schon einmal im Leben umgezogen sind, kommt es vielleicht bekannt vor:

Man erlebt die Dinge, die einem normalerweise alltäglich erscheinen, vor dem Übersiedeln noch einmal bewusst ein letztes Mal. Das letzte Mal das leckere Gebäck beim Lieblingsbäcker kaufen, das letzte Mal die Arbeits- oder Schulstrecke abfahren, die letzte Kiste verschicken, das letzte Mal den Rasen mähen, usw.

Und dann ist man an den neuen Ort gekommen und muß alles, was eigentlich alltäglich ist, wieder “neu (er)finden”. Also, das erste Mal zum Supermarkt in der Nähe fahren, einen neuen Lieblingsbäcker finden, die Wohnung wieder einrichten, herausfinden, wo der Rasenmäher ist, mit dem man den „neuen“ Rasen mähen will, bzw. herausfinden, wo es ein Geschäft gibt, das einen Rasenmäher verkauft, um den neuen Rasen zu mähen usw.

Wir haben in dieser Woche schon einige solcher ersten Erfahrungen gemacht. Bis zum Wohnung einrichten sind wir noch nicht gekommen (dank der voll eingerichteten Urlaubswohnung hier in Miyota, in welcher wir vorerst untergebracht sind), und einen Rasen zu mähen haben wir auch nicht hier (dafür wunderschöne Hortensien vor dem Haus 🙂 ).

Aber gleich am Ankunftstag haben wir nach dem langen Anmeldungsprozeß in Inazawa unseren ersten Einkauf erledigen können. Der ging noch ganz gut von statten, weil wir gerade an dem Supermarkt hielten, den wir vor 6 Jahren in unserem Jahreseinsatz frequentiert hatten. 😉 Auch unsere erste Autofahrt in Japan lief ganz entspannt, denn wir wurden ob unseres vorausgehenden Fluges in weiser Voraussicht von einem Mitmissionar gefahren.

Dann aber, am nächsten Tag, nach einer Nacht voll im Jetlag (ich wußte nicht, wie es mit Kindern ist – die stehen einfach mitten in der Nacht auf und wollen danach auch noch wach bleiben, weil die innere Uhr noch nach MEZ tickt) geht das Essen langsam zu neige, und wir fahren alleine los zum Supermarkt hier in der Nähe. Das erste Mal links fahren übernahm mein Mann (immer links denken, immer links! – er hat es echt super gemacht, mir steht das noch bevor…) Nachdem wir das Einkaufszentrum endlich gefunden haben -vor lauter Restaurantschildern habe ich den Eingang zum Einkaufszentrum völlig übersehen- verbrachten wir gefühlte 3 Stunden in 4 Geschäften, davon wertvolle 20 Minuten in der Drogerie (die Kids waren schon ziemlich drüber von den ganzen Ersteindrücken), einzig und allein, um ein ganz normales Waschmittel zu finden! Ich war ja früher schon in Japan, aber irgendwie sahen die Schriftzeichen und Behälter in der Waschmittelabteilung alle so gleich aus, daß ich es lieber vorzog, am Ende doch noch eine japanische Käuferin anzusprechen und zu fragen. Sie hat mir sehr weitergeholfen, denn sonst hätte ich am Ende ein Fleckenentfernungsmittel statt Waschmittel gekauft und die gesamte Wäsche damit gewaschen…

Ja, und das nächste einprägsame “erste-Mal-in-Japan”-Erlebnis hatten wir gestern. Wir sind nun ganze 9 Tage in Japan und durften gestern schon ins nahegelegene Krankenhaus fahren. Und das ganz typischerweise am Samstag abend, wenn schon aller normaler Betrieb geschlossen hat. Die Geschichte verlief so:

Die Kinder spielten am Bach vor dem Haus, und ich war nur kurz (wie das bei solchen Dingen so häufig ist) mit etwas anderem beschäftigt. Auf einmal höre ich ein Schreien und schaue in Richtung Bach, da steht eines unserer Kinder heulend auf der “Brücke” (kleiner Holzsteg), dem etwas offensichtlich sehr weh tut. Er hält sich an den Hinterkopf und weint, und lässt sich nicht beruhigen… Da es ihm 2 Stunden später aus unerklärlicher Ursache immer noch nicht gut geht und den Kopf kaum drehen kann, entscheiden wir, zum Krankenhaus zu fahren. Unser Kollege hilft uns und fährt vor, aber als wir beim ortsansässigen Krankenhaus ankommen, teilt uns die Rezeption mit, daß der Arzt aus der Orthopädie schon Feierabend hat, und daß die Fachleute aus der Röntgenabteilung seit Mittag nicht mehr da wären. Na sowas. Das nächste Krankenhaus gebe es in “Komoro”, ca 20km weiter von hier. Nach kurzem Überlegen entscheiden wir uns, dorthin zu fahren. Auch in diesem Krankenhaus hat in der Eingangshalle nur mehr die Notambulanz offen, aber wir können uns dort anmelden. Nun bin ich echt noch einmal dankbar, daß wir am Tage unserer Ankunft das Prozedere mit Anmeldung bei Stadt und örtlicher Krankenkasse hinter uns gebracht haben. So müssen wir keine langen Anträge für die Krankenkasse in Deutschland ausfüllen, sondern können bald in den Wartebereich vor die Ambulanz gehen. Nach kurzer Zeit kamen wir dran, es wurde sofort im Raum gegenüber geröngt und wir sind sehr dankbar, daß da alles ok war. Heute abend konnte das Kind schon wieder seinen Kopf fast normal bewegen, und wir sind echt dankbar, daß da nichts ernsteres passiert war und Gott vor Schlimmerem bewahrt hat.

Ich befürchte, dieser erste Krankenhausbesuch war nicht der letzte von uns in Japan, aber ich bin echt dankbar, daß es hier auch ein Sozialsystem gibt, daß es Krankenhäuser gibt, und daß es fähige Ärzte gibt. Beruhigen tut mich aber die Tatsache, daß Gott die Hand über uns hält, uns versorgt und beschützt, und daß er über alles Bescheid weiß.

So bin ich gespannt auf die nächsten “ersten” Erfahrungen, die wir erleben werden, und von denen ich Euch berichten kann!