Vorgestern konnte ich im Zuge des vorerst vorletzten Aktes unserer Übersiedlung unsere Habseligkeiten aus Inazawa holen. Auf dem Weg dahin bin ich zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder mit einen Expresszug in Japan gefahren.
Das Ticket wurde im gewohnten Modus an den Automaten gelöst – allerdings mangels ausreichender Japanischkenntnisse noch im Englischen, wie der Automat dann auch für den halben Bahnhof hörbar rückgemeldet hat (á la: „ALL FARE INFORMATION WILL BE DISPLAYED IN ENGLISH“ – jetzt wissen auch alle, die es bisher noch nicht gesehen haben sollten, dass jemand anwesend ist, der KEIN japanisch kann… :)).
Wie immer war die Pünktlichkeit der japanischen Züge über jede Kritik erhaben. Nach etwa einer halben Stunde in die mehrstündige Reise aus der Präfektur Nagano in die Präfektur Aichi wurde auch tatsächlich ein Sitzplatz frei.
Irritiert war ich von der sehr eindeutigen Lektüre, die ein älterer Mann einen Sitz vor mir auspackte und sich schamlos im Zug zu Gemüte führte. Die ebenfalls irritierten Blicke besonders der vorbeigehenden Frauen verrieten mir, dass das wohl keine in japanischen Zügen angemessene Lektüre ist, gleichzeitig merkte man aber auch, dass einem alten Mann mit weißem Haar von Inländern einfach nichts kritisches gesagt wird. Ob mein halblaut ausgesprochenes „chotto…“ dazu beigetragen hat, dass er seine Zeitschrift nach kurzer Zeit wieder wegpackte, kann ich nicht beurteilen.
Auf der Fahrt widmete ich mich meinen Lektüren für das aufbauende Theologiestudium und dem Japanischunterricht. Nach etwa zwei Stunden Fahrtzeit wechselte der Kontrolleur, die Tickets wurden also wieder überprüft. Da bei der ersten Kontrolle alles gut lief, machte ich mir keine großen Geanken. Als der Schaffner mich aus „Emerging Church“ herausgerissen und ich ihm selbstbewusst mein „Fare Ticket“ gegeben hatte, merkte ich nach initialer Normalität der Situation, dass irgendetwas wohl nicht stimmen dürfte.
Der Schaffner sagte länger nichts und studierte das Ticket, dass ich ihm gerade gegeben hatte. Dann blickte er von dem Stück Plastik auf und sagte auf japanisch: „Eins fehlt noch“. Nun war seine Irritation auch zu der meinen Geworden. Ich versuchte nachzuvollziehen, was ich falsch gemacht haben könnte und zeigte ihm, dass ja nur die Reservierung eines Sitzes laut Auskunft im Internet noch extra gekostet hätte. Da ich auf einem unreservierten Sitz saß, fühlte ich mich (noch) recht sicher in meiner Aussage.
Das Gesicht des Schaffners verfärbte sich im Bereich seiner Wangen etwas rötlich. Sein freundliches Lächeln wirkte gequälter als zuvor.
Er sagt noch einmal, dass da noch etwas fehlt.
Ich zeigte ihm die Fahrplanauskunft, die ich mir ausgedruckt hatte (und fühlte mich schlau dabei). Er verwies auf die Sitzplatzreservierung – Ich verstand immer noch nicht.
Dem Schaffner trat der Schweiß ins Gesicht.
Er griff zu seinem Handcomputer, tippte etwas ein und sagte etwas wie: „Unresafudu Shiito“ während er auf einen auf dem Display angezeigten Betrag deutete.
Meine Sicherheit schwand dahin. Was ich in den letzten Jahren vergessen hatte: in Japan zahlt man bei Überlandexpresszügen sowohl die „Fare“ als auch eine „Sitzplatzreservierung“. Ein reservierter Sitzplatz muss teurer bezahlt werden, als ein unreservierter, letzterer ist aber trotzdem zu bezahlen.
Nun war es an mir, in Peinlichkeit den Blick zu senken und gebrochene japanische Entschuldigungsphrasen von mir zu geben – was ich natürlich, während ich reumütig mein Portemonnaie zückte, auch tat. Gott sei Dank musste ich nur die Sitzplatzreservierung nachzahlen, keine Strafe.
Anschließend verneigte sich der Schaffner noch einmal und verabschiedete sich freundlich, an seinem Tonfall konnte ich aber merken, dass das ihm vorliegende Exemplar sich in die Reihe der „bakana Gaijin“ (dumme Ausländer) eingegliedert hatte.
Die ganze Situation war mir ordentlich peinlich… lesson learned. Gleichzeitig fand ich es sehr krass, wie unangenehm die Situation für den Kontrolleur war. Man hatte den Eindruck, dass es ihm unbehaglicher war als mir, der ich doch in der misslichen Lage war, die Fahrt nicht korrekt gezahlt zu haben. Nun tut es mir Leid, was für einen Stress ich dem armen Schaffner gemacht habe.
Und so wurde diese Begebenheit auch gleichzeitig zu einer Einführung in die japanische Kultur, in der man sich ständig für alles entschuldigt. 😉